Günter Zschacke: "Klingende Jahrzehnte"
Aus Überzeugung, dass die Lübecker Philharmoniker als immaterielles Komplement zum architektonischen Weltkulturerbe der Hansestadt gemeinschaftsbildend sind, resümiert deren bestens informierter Chronist Günter Zschacke zum 120-jährigen Bestehen. Bemerkenswerterweise hebt er hervor, dass seit der Gründung durch den Verein der Musikfreunde e.V. ein Kampf mit den politischen Kräften der Hansestadt um die Anerkennung des Status (jetzt: B-Orchester) stattfindet, bei dem in den 1920ern sogar im Rahmen einer Kooperation mit dem Arbeiterbildungsverein Volkstümliche Konzerte im Gewerkschaftshaus erfolgreich veranstaltet wurden.
Respektables Profil erhielt das Orchester, trotz vieler Wanderungen und Umzüge in mehr oder weniger geeignete städtische Konzertorte (s. Fotodokumente), durch prägende Persönlichkeiten wie Wilhelm Furtwängler, Christoph von Dohnanyi und Gerd Albrecht, und in den vergangenen Jahren durch Erich Wächter und Roman Brogli-Sacher, die jeweils kurz porträtiert werden. Diesem gerafften historischen Rekurs folgen Kapitel über die beiden genannten wechselvollen Dekaden. Sie waren von Paukenschlägen wie Querelen um die Besetzung der Dirigentenposition und insbesondere Etatkürzungen aufgrund kommunaler Finanzknappheit geprägt: So wurde die Ballettsparte eingespart.
Demgegenüber hat Günter Zschacke jedoch einige Jubelmomente nicht vergessen, wozu der Echo-Klassik-Preis 2011 für die DVD-Edition von Richard Wagners Ring des Nibelungen im Kontext des Wagner/Mann-Projekts am Theater Lübeck und der Bau der Musik- und Kongresshalle (MuK) gehören, seit 1994 das Domizil der Lübecker Philharmoniker u.a. zur Aufführung symphonischer Zyklen und auch Spielstätte des Schleswig-Holstein Musik Festivals sowie in freundlicher Rivalität des NDR Elbphilharmonie Orchesters. Allerdings wäre die MuK nicht ohne das Engagement einer beharrlichen Bürgerinitiative möglich gewesen. Wie überhaupt Fördervereine (drei davon jetzt fusioniert als Musik- und Orchesterfreunde, MOF) nicht nur 1997 den offiziellen Titel Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck bewirkten, sondern vor allem auch eine stetige Unterstützung, finanziell für Gastsolisten oder bei der Instrumentenbeschaffung und reputativ etwa mit gesponserten Schülerabonnements oder Kinderbetreuung bei Symphoniekonzerten garantieren.
Diesen Initiativen und ihren je eigenen Perspektiven, die öffentliche Präsenz des Philharmonischen Orchesters positiv zu verstärken, sind separate Abschnitte gewidmet, sodass ein kulturpolitisches Netzwerk sicht- und erkennbar wird. Gefüllt mit statistischem Material (Konzertprogramme, Premieren, Solisten, Gastdirigenten, Orchestermitglieder, Diskografie) sowie interner Detailkenntnis ist das Buch von Günter Zschacke eine lesenswerte, paradigmatische Lokalhistorie, um die Bedeutung der Musik für eine humane Existenz im kollektiven Gedächtnis zu bewahren.
Von Hans-Dieter Grünefeld, erschienen in: Das Orchester 04/2018, Seite 59.
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